Warum führt Putin in der Ukraine Krieg? Diese 8 Antworten zeigen, was ihn treibt.

Am 24.02.2022 marschierte Russland in die Ukraine ein. Hier ist - abseits der tagesaktuellen Entwicklungen - ein Überblick über die wichtigsten Zusammenhänge. Kompakt, verständlich, klar. Um zu verstehen, was warum geschieht.

Was will Präsident Putin eigentlich in der Ukraine?

Für den russischen Präsidenten ist der Zerfall der Sowjetunion 1991 eine persönliche Katastrophe. Aus seiner Sicht ist die Ukraine untrennbarer Bestandteil Russlands. Ihr “Brudervolk”, das ist Putins Narrativ, wird von US-gesteuerten “drogensüchtigen Neonazis“ regiert und müsse daher “befreit”, “komplett entwaffnet” und “entnazifiziert” werden. 

Tatsächlich scheint der Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine, trotz aller Beteuerungen für diplomatische Lösungen, von langer Hand vorbereitet. Die russische Unterstützung der ostukrainischen Separatistengebiete um Donezk und Luhansk - und zuletzt ihre Anerkennung als unabhängige “Volksrepubliken” - sowie die Annexion der Halbinsel Krim 2014 sprechen eine deutliche Sprache. 

Putins Forderungen sind für die Ukraine und den Westen weitgehend unannehmbar: völlige Entwaffnung des Landes, keine Annäherung an die EU, Rückzug der NATO auf ihre  Ausdehnung vor der Osterweiterung. Über Putins Forderung nach Neutralität der Ukraine als Vorbedingung für Waffenstillstandsverhandlungen kann aktuell, mitten im Krieg, nur spekuliert werden.

Russland und die Ukraine - ungleiche Kontrahenten.
Dim Grits,CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, viaWikimedia Commons / Upload

Gibt es Beispiele dafür, wie Putin Russlands Größe wiederherstellen will?

Ja, die gibt es. Putin will den Einfluss seines Landes entlang der Grenzen der Russischen Föderation verankern. Diese Pufferzonen sollen Schutz vor westlichen Angriffen auf Russland bieten.

Das verdeutlicht nicht nur der Krieg in der Ukraine. Schon 2008 ging es ihm im sogenannten Kaukasus-Krieg um einen anderen Nachbarn: um Georgien und seine an Russland grenzenden pro-russischen Gebiete. So wie jetzt gerade die "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk in der Ostukraine erkannte er 2008 auch Südossetien und Abchasien als unabhängige Staaten an. 

Dieser Anerkennung gingen ein kurzer Krieg voraus. In der Nacht vom 7. auf den 8. August beschossen georgische Truppen die Hauptstadt Südossetiens - für Putin die Legitimation, russische Truppen im Rahmen einer “Friedensmission” in Georgien einmarschieren zu lassen. Die erhoffte Unterstützung des Westens für das Land blieb aus. Nach nur fünf Tagen begannen Friedensverhandlungen, mit Frankreich in der Rolle des Vermittlers.

Südossetien und Abchasien gehören aus Sicht der internationalen Staatengemeinschaft weiterhin zu Georgien. Das dort allerdings so gut wie keine Kontrolle hat. Neben Russland erkennen nur wenige weitere Staaten die beiden Gebiete an: Venezuela, Syrien, Nicaragua und Nauru. 

Erschreckend (und lehrreich) ist die ganz ähnliche Vorgehensweise Putins in der Ukraine: Verlegung von Truppen an die Grenze des Nachbarlandes unter dem Vorwand militärischer Übungen. Legitimation des Einmarschs als angebliche Friedensmission. Tatsächlich aber eine Militäroperation, um eine potenzielle NATO-Mitgliedschaft zu verhindern und jede Annäherung an den Westen zu verhindern. 

Im Fall der Ukraine kommt darüber hinaus der schon lang gehegte Plan ins Spiel, das “Brudervolk” zu “befreien” und der eigentlichen Heimat Russland einzuverleiben.

Welche Bedrohung stellt die Ukraine aus Putins Sicht dar?

Kurz gesagt: ihre Orientierung Richtung Westen seit 1991 - sowohl der Politik als auch in der Bevölkerung. Dies ist eine der zentralen Konfliktursachen mit der russischen Führung. 

Die Massenproteste 2014 gegen den pro-russischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch - vor allem auf dem Maidan-Platz in Kiew - wurden durch dessen Weigerung ausgelöst, ein Annäherungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Der Rest ist Geschichte: Volksaufstand, tote Zivilist*innen, Janukowitschs Flucht nach Russland. Bald danach schlitterte die Ostukraine in einen Krieg zwischen pro-russischen Separatist*innen und der ukrainischen Armee. Und Russland annektierte die der Ukraine zugehörige Halbinsel Krim.

Nicht nur die Annäherung an die EU befeuerte den ukrainisch-russischen Konflikt. Im Raum stand auch der potenzielle Beitritt des Landes zur NATO: Für Putin eine unakzeptable geopolitische Bedrohung. Denn damit gäbe es gleich zwei westliche Bündnisse direkt vor der eigenen Haustür.

Fühlt Putin sich nicht zu Recht durch die Osterweiterung der NATO bedroht?

Zunächst mal: Was genau bedeutet dieser Begriff? Er beschreibt - nach dem Zerfall der Sowjetunion - die Aufnahme osteuropäischer Staaten in das westliche Militärbündnis.

Nach der Auflösung des Warschauer Pakts 1991 - also dem Gegenstück der NATO - vollzog sich die Osterweiterung  in fünf Phasen:

1999: Polen, Tschechien und Ungarn

2004: Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Slowenien

2009: Albanien und Kroatien

2017: Montenegro

2019: Nordmazedonien

https://de.statista.com/infografik/26696/europaeische-laender-nach-jahr-des-eintritts-in-die-nato/

Russlands Kritik an der NATO-Erweiterung hat vor allem zwei Gründe.

Einerseits fühlt es sich durch die Ausdehnung der NATO bedroht. Denn sie ermöglicht die Einrichtung und Erhaltung von Militärstützpunkten nahe der russischen Grenze. 

Allerdings gingen - nach dem Ende der Sowjetunion - die Beitritts-Ansuchen von den ehemaligen Sowjetrepubliken aus, die sich damit vor erneuter russischer Einflussnahme schützen wollten. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass es unter anderem aus den USA auch starke Vorbehalte gegen die Ausdehnung der NATO gab. 

Andererseits behauptet Russland immer wieder, mit der Osterweiterung seien politische Zusicherungen Deutschlands und Amerikas gebrochen worden. Denn 1990, nach dem Fall der Berliner Mauer, habe man Russland zugesichert: Im Fall der Wiedervereinigung Deutschlands würde die NATO darauf verzichten, ihren Wirkungsbereich bis an die gesamtdeutsche Ostgrenze zu erweitern - als mögliche Gegenleistung für die  Wiedervereinigung Deutschlands. Die Existenz solcher mündlicher Zusagen ist belegt, aber mittlerweile hauptsächlich Gegenstand akademischer Forschung. Eine formelle schriftlich fixierte Zusage habe es nie gegeben. 

Doch das Narrativ des gebrochenen Versprechens gegenüber Russland darf nicht unterschätzt werden. Eine neuerliche Erweiterung der NATO um die Ukraine wäre aus russischer Sicht  vollkommen unakzeptabel - steht aber aktuell auch nicht zur Debatte. 

Der Krieg Russlands 2008 mit Georgien  - dessen NATO-Mitgliedschaft Russland unbedingt verhindern wollte und will - und der bewaffnete Konflikt in der Ostukraine seit 2014 zeigen, wie ernst Präsident Putin die “Umzingelung” Russlands  durch die NATO nimmt. Und wie weit er zu gehen bereit ist, sie zu verhindern. 

Daher ist die Nichtaufnahme Georgiens und der Ukraine in die EU oder die NATO für ihn zwingende Voraussetzung für die Beendigung des Ukraine-Konflikts. Ebenso wie die Forderung, die NATO solle sich auf ihre Positionen vor der Osterweiterung zurückziehen.

Allem Anschein nach spielen diese Forderungen aktuell aber keine Rolle. Putin will, so sieht es aus, die Ukraine mittlerweile um jeden Preis erobern, koste was es wolle.

Was ist mit den Separatistengebieten im Osten der Ukraine, mit denen alles begann?

Es handelt sich dabei um die pro-russischen Teile der Ostukraine, die seit 2014 im bewaffneten Konflikt mit der Ukraine stehen. Das betrifft die Region um die Städte Donezk und Luhansk im Donbass. Diese  an Russland angrenzenden Gebiete mit überwiegend russischen und russischsprachigen Bewohner*innen  riefen bald ihre Unabhängigkeit als autonome “Volksrepubliken” aus. Ein Status, der ausschließlich von Russland und Syrien anerkannt wurde. Seither schwelte der bewaffnete Konflikt weiter.

Die beiden "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk sowie die von Russland 2014 annektierte Halbinsel Krim. Rechte: Quell: Wikipedia Commons

Unmittelbar auf die offizielle Anerkennung der staatlichen Unabhängigkeit im Februar 2022 folgte der Einmarsch russischer Truppen. Eine der angeblichen Rechtfertigungen für die Invasion: Die beiden Neo-Staaten hätten um Schutz vor ukrainischer Aggression ersucht. So begann der Krieg.

Es war immer die Rede von Konflikten entlang der sogenannten Kontaktlinie. Was ist das?

Die beiden pro-russischen "Volksrepubliken" sind nur ein Teil der beiden Verwaltungsgebiete Luhansk und Donezk. Seit 2014 verläuft die Waffenstillstandslinie zwischen dem von der Ukraine kontrollierten und dem von den Rebellen beherrschten Territorium. Sie wird als Kontaktlinie bezeichnet und ist 450 Kilometer lang.

Die Kontakt-,  besser Frontlinie zwischen den "Volskrepubliken" und der Ukraine

Aber es wurden doch Friedensabkommen ausgehandelt, um eine Eskalation des Konflikts zu vermeiden?

Richtig, und zwar das Minsker Abkommen von 2015 (auch: Minsk II), um den bewaffneten Konflikt diplomatisch und gewaltfrei zu lösen. Primär ging es um eine Waffenruhe, den Abzug schwerer Waffen und Truppen.

Ausgehandelt wurde das Abkommen im sogenannten “Normandie-Format”, also zwischen Deutschland, Frankreich, der Ukraine und Russland, mit Beteiligung der OSZE (der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa). 

Erste Versuche eines Waffenstillstands-Abkommens gab es bereits 2014 (das Minsker Protokoll oder Minsk I), allerdings zogen regelmäßige Verstöße beider Kriegsparteien immer neue Verhandlungen nach sich. 

Auch nachdem das Abkommen 2015 offiziell in Kraft trat, wurden die darin enthaltenen Vereinbarungen immer wieder gebrochen - militärische Handlungen beider Seiten hörten nie gänzlich auf. 

Am 21. Februar 2022 erklärte Präsident Putin das Minsker Abkommen schließlich für obsolet und erkannte die Unabhängigkeit der separatistischen Gebiete in der Ostukraine offiziell an.

Und hier noch zwei Kurzdefinitionen von Begriffen, um die es beim Ukraine - Konflikt immer wieder geht.

NATO

Die “North Atlantic Treaty Organisation” (NATO) ist ein militärisches, aber auch politisches Bündnis. Kernstück der Organisation ist die sogenannte kollektive Selbstverteidigung: Ein Angriff auf einen oder mehrere Mitglieder der NATO stellt einen Angriff auf alle dar und löst die Pflicht zur Verteidigung des oder der Angegriffenen aus. Bisher kam es erst einmal zu diesem Bündnisfall, und zwar nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York.

Die NATO entstand 1949 und war damals vor allem durch den “Kalten Krieg” geprägt. Der schwelende Konflikt zwischen dem von der Sowjetunion beherrschten Osten und dem Westen unter Führung der USA war für die westeuropäischen und nordamerikanische Staaten ein entscheidender Faktor, sich zu einem gemeinsamen Verteidigungsbündnis zusammenzuschließen. 

Die NATO fördert die Kooperation in Fragen der Verteidigung und Sicherheit zwischen den Mitgliedstaaten. Sie setzt sich für diplomatische Lösungen ein und ermöglicht gleichzeitig die Durchführung militärischer Operationen. 

Aktuell zählt die NATO 30 Mitgliedstaaten aus Westeuropa und Nordamerika. Aber auch eine Reihe osteuropäischer Länder - im Rahmen der NATO-Osterweiterung nach dem Zerfall der Sowjetunion - zählen dazu.

OSZE

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist ein überstaatlicher Zusammenschluss. Sie setzt sich für Stabilität, Demokratie und Dialog ein und übernimmt in internationalen Konflikten eine Vermittlungsrolle. Dabei geht es um die Vermeidung von Gewalt und friedliche Lösungen.

Quellen:
Adomeit, H. (2018). NATO Osterweiterung: Gab es westliche Garantien?Bundesakademie für Sicherheitspolitik: Arbeitspapier Nr. 3/2018.
Auswärtiges Amt Deutschland. (2018). Der Konflikt in der Ostukraine - Minsker Abkommen, Normandie-Format und OSZE-Beobachtermissionen. https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/ukraine-node/konflikt-ostukraine/2177164
NATO: https://www.nato.int/nato-welcome/index_de.html
OSZE. Wer wir sind. https://www.osce.org/de/who-we-are
Schiffers, S. (2018). Georgienkrieg 2008. In: Dekoder. https://www.dekoder.org/de/gnose/georgienkrieg-suedossetien-abchasien-2008
Wikipedia: NATO Osterweiterung. https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Osterweiterung