Rettung: geglückt

Nach Tagen der Unsicherheit werden Menschen in Not aus dem Mittelmeer gerettet. Allerdings von einem anderen Schiff, dass sie nicht an Bord behalten kann. Jetzt sind sie auf der Sea-Eye 4 in Sicherheit.

von
Hanna Winter
und

34 Männer aus Bangladesch sind seit Sonntag, dem 08.05., sicher an Bord der Sea-Eye 4. Sie haben eine wahnsinnig lange Reise hinter sich und eine ganz besondere Rettungsaktion dazu.

Am 07.05. kontaktierte uns das Deutsche Maritime Rettungs-Koordinationscenter (MRCC) in Bremen mit der Bitte, einem Frachtschiff unter deutscher Flagge zu Hilfe zu kommen. Sie hatten ein kleines Boot auf dem Meer nördlich von Bengazi, sehr weit im Osten und sehr weit entfernt von der Sea-Eye 4, gesichtet.

Wegen der Wetterverhältnisse und weil das Handelsschiff sich nicht in der Lage sah, unter solchen Bedingungen Menschen aus Seenot zu retten, konnten die Männer nicht bei ihnen aufgenommen werden. Die Besatzung versorgte sie mit Essen, Trinken, Decken und Seekrankheitsmedikamenten. Sie stabilisierten und beruhigten die Situation.

Nachdem die Männer drei Tage lang eng an eng auf dem kleinen Holzboot ausgeharrt hatten, konnten ein paar von ihnen in eine Rettungsinsel klettern, die von der Schiffsbesatzung bereitgestellt wurde. Damit wurde etwas mehr Platz für alle geschaffen.

Trotz Höchstgeschwindigkeit und guten Wetterbedingungen dauerte unsre dorthin Fahrt rund eineinhalb Tage, wir kamen schließlich mitten in der Nacht an. Menschen aus einer Rettungsinsel zu bergen ist für unsere Einsatzboote - die RHIBs - kompliziert, bei Nacht noch schwieriger.

Wir waren froh zu erfahren, dass ein anderes Containerschiff, die BSG Bahamas, die Menschen zwischenzeitlich an Bord genommen hatte und uns entgegenkam. Wir trafen nachmittags aufeinander und konnten das Tageslicht für die Übernahme nutzen.

Solch sogenannten Transshipments wurden schon einige Male von zivilen Rettungsschiffen durchgeführt. Aber dieses Ereignis war insofern speziell, als das MRCC Bremen uns offiziell um Hilfe gebeten hatte, da sonst niemand auf den Notruf reagierte, niemand helfen konnte oder wollte.

Die BSG Bahamas, rechts die Sea-Eye 4: das Transshipment ist keine einfache Sache. ©Joe Rabe

Das deutsche Schiff und auch die BSG Bahamas sind nicht für Bergung, Versorgung, Behandlung und Unterbringung von Schiffbrüchigen geeignet. Die Sea-Eye 4 allerdings schon.

In der Vergangenheit haben zivile Seenotrettungsorganisationen oft erlebt, dass die MRCCs der Länder Malta, Italien und Deutschland versucht haben, die Verantwortung von sich zu weisen. Insbesondere Malta verhielt sich oft sehr problematisch. Seine Rettungsleitstelle schaltete immer wieder schlicht auf „stumm“, und sie behaupteten, sie seien nicht zuständig.

Das ist nicht bloß falsch, sondern zudem auch höchst menschenverachtend. Diese Männer mussten länger auf See ausharren, weil Malta jegliche Hilfe verweigerte, in der zynischen „Hoffnung“, sie würden lange genug durchhalten und dann von der libyschen Küstenwache illegal zurück nach Libyen gebracht.

Das Prozedere an sich war voller Herausforderungen und wir sind glücklich, dass es so gut geklappt hat. Die RHIB-Teams konnten das Anfahren an das Containerschiff und die Übernahme der Geretteten theoretisch üben.

Die Teams beider Schiffe stimmten sich per Funk ab, wie die einzelnen Manöver und Abläufe am besten durchführbar wären. Vor Ort wurde das Manöver praktisch umgesetzt. Sie alle meisterten diese Situation großartig und wir konnten die Geretteten sicher an Bord der Sea-Eye 4 bringen.

Kleines Rettungsboot, riesiges Containerschiff: Übernahme von der BSG Bahamas. ©Joe Rabe

Mit ihnen an Bord starteten wir mit ihrer Registrierung, dem Sicherheitscheck und der Versorgung. Sie waren insgesamt vier Tage lang auf dem Wasser, wurden in aufregenden Aktionen auf zwei verschiedene Schiffe gebracht und erschöpft. Wir versuchten den Ankommens-Prozess an Bord und den restlichen Abend ruhig und stressfrei zu gestalten, was bei 34 Personen gut möglich war.

Ein Mann konnte kaum gehen, da seine Beine im Boot eingeklemmt waren. Er wurde per Seilzug auf die Sea-Eye 4 gezogen und dann einige Zeit in unserem Krankenhaus versorgt. Andere haben ihm geholfen, seine Beine wieder zu bewegen und ihn beim Gehen gestützt, sodass er zwei Tage später schon wieder gut zu Fuß war.

Meine Aufgabe nach einer Rettung ist die Registrierung der Geretteten. Jeder bekommt ein Armband mit einer Nummer, das für alle möglichen praktischen Dinge des Zusammenlebens auf dem Schiff wichtig ist - wie die Ausgabe, Markierung und Zuordnung einer Matte, einer Decke, einer Zahnbürste, eines Handtuchs und so weiter.

Auch bei der Essensausgabe können wir so sicherstellen, dass jeder eine Portion bekommt, jeder gleich viel bekommt und für alle genug da ist. Wir nehmen so auch wahr, wenn jemand nicht zum Essen kommt, weil er oder sie krank oder zu schwach ist.

Zusätzlich fragte ich nach der Nationalität, dem Alter und - falls die Person minderjährig ist - auch danach, ob sie unbegleitet unterwegs ist. Beide Informationen sind für die Behörden bei der Ausschiffung und anschließenden Unterbringung wichtig.

Als wir uns auf den Weg zu ihnen gemaxcht hatten, gab es ein kleines Missverständnis bezüglich ihrer Nationalität. Man sagte uns, sie sprächen Arabisch, woraufhin ich schnell noch ein paar Wörter Arabisch für die Registrierung lernte. Als unser Missionsleiter und ein Paramedic an Bord des Containerschiffes kamen, um die Situation zu beurteilen, stellte sich heraus, dass sie alle aus Bangladesch stammen.

Wir nutzten also die Wartezeit an Deck der Sea-Eye, um schnell noch ein paar Wörter in Bengali zu lernen, um die Geflüchteten in ihrer Sprache willkommen heißen und ein klein bisschen mit ihnen kommunizieren zu können. Zum Glück sprechen ein paar von ihnen englisch und können für die Gruppe übersetzen.

Es sind die kleinen Dinge, die zählen: Die Crew heißt die Geflüchteten in ihrer Sprache willkommen.

Am selben Tag, als wir uns auf den Weg zur Rettung dieser 34 Menschen machten, erfuhr ich vom Tod eines lieben Freundes, der mit 32 Jahren verstorben ist. Ich konnte die Beerdigungs-Zeremonie, die für alle internationalen Freund*innen online übertragen wurde, nicht schauen, sah aber viele Nachrichten von Leuten aus unserem gemeinsamen Bekanntenkreis und Beileidsbekundungen für seine Familie.

Dieser frühe Tod ist tragisch und macht mich wirklich traurig. Im selben Moment war ich innerlich auch hin- und hergerissen. Im Durchschnitt sterben hier draußen im Mittelmeer täglich 5-6 Menschen. Ihre Familien können sie nicht beerdigen, keine schöne Zeremonie machen, sich nicht verabschieden. Und die, die für den Tod verantwortlich sind, werden nicht zur Rechenschaft gezogen. Wer trauert um diese Toten? Wer setzt sich dafür ein, dass nicht noch mehr sterben?

Wenn ich in die Gesichter der Geretteten schaue, bin ich sehr dankbar, dass sie ihre Flucht überlebt haben und wir sie in einen sicheren Hafen bringen können.