Wellen, Wind, schlaflose Nächte

Die Sea-Eye 4 ist im Einsatzgebiet und das Wetter schlecht. Es legen weniger Boote von der libyschen Küste ab. Können die, die es trotzdem wagen, rechtzeitig gerettet werden? Die Unsicherheit strapaziert die Nerven der Crew.

von
Hanna Winter
und

Nach einigen Tagen in der Search-and-Rescue-Zone erhalten wir eine Notruf-Mail von „Alarmphone“, dass etwa eine Stunde von unserer Position entfernt ein Schiff in Seenot ist. Wir hatten nur ältere Koordinaten, sodass wir nur erahnen konnten, wo es gerade sein würde.

Ich wollte eben meine abendliche SAR-Watch beenden, als wir plötzlich den Kurs wechselten, die Geschwindigkeit erhöhten, die Suchscheinwerfer angingen. Wir suchten das immer dunkler werdende Meer ab, um nach Lichtern Ausschau zu halten.

Unsere einzige Chance, das Boot bei Nacht ohne aktuelle Koordinaten zu finden, liegt darin, dass die Menschen an Bord Handys oder Lampen nutzen, um auf sich aufmerksam zu machen. Irgendwann fängt man an, Lichter zu sehen, die es nicht gibt, daher waren wir mit 5-6 Personen pausenlos am Ausguck: viele Augen sehen mehr.

Andere Rettungsschiffe, die besser mit Nachtsicht-Geräten oder Wärmebildkameras ausgestattet sind, können Boote in der Dunkelheit besser finden als wir. Das ist allerdings eine extrem kostspielige Anschaffung, die sich die wenigsten zivilen Rettungsschiffe leisten können.

Besonders die paar Meter vor unserem Schiff mussten gut überwacht werden, damit wir nicht mit dem Boot kollidieren. Ein Moment großer Anspannung, die dunkle Nacht furchteinflößend. Unsere Suchscheinwerfer schickten von Zeit zu Zeit das SOS-Signal (3-mal kurz, 3-mal lang, 3-mal kurz) in die Dunkelheit.

Irgendwann bekamen wir eine „Antwort“ und sahen schwache aufblinkende Lichter. So fanden wir das Boot, Gott sei Dank. Glücklicherweise waren unsere Kolleg*innen von der „Ocean Viking“ noch schneller, sie übernahmen die Bergung der Personen als on-scene coordinator.

Nun harren wir weiter vor der libyschen Küste östlich von Tripolis aus. Das Wetter ist seit drei Tagen wirklich mühsam, 3 - 5 Meter hohe Wellen, von verschiedenen Seiten, was die Sea-Eye 4 ziemlich rollen und stampfen lässt. Wir schleppen uns durch den Tag.

Meine Co-Köchin Hanna und ich fühlen uns praktischerweise abwechselnd unwohl, und so ist immer jemand fit zum Kochen. So richtig schlimm seekrank sind die meisten dank der Medikamente nicht, aber Kopfschmerzen, Erschöpfung, Schwindel und allgemein genervte Stimmung reichen schon aus. Ja, ich war so dauergenervt wie selten in meinem Leben…

Wir versuchen uns mit Arbeit, Putzen, Musik, Kartenspielen und Schlafen bei Laune zu halten. Das klappt meistens ganz gut. Seit heute Nachmittag ist es wieder ruhiger geworden und wir konnten uns nach der letzten echt fürchterlichen Nacht ausruhen und aufarbeiten, was die letzten Tage liegen geblieben ist.

Hanna: "Der Kühlschrank, nachdem gestern Nacht eine kleine Wellen-Party darin stattgefunden hat."

Tag für Tag gehen wir ins Bett, mit der Unsicherheit, ob wir schlafen können oder uns die Wellen oder der Rettungs-Alarm wecken. Die Dusche lassen wir ausfallen, wenn sich alles zu sehr bewegt, nutzen die kurzen ruhigeren Momente um sie nachzuholen.

Wir sehen seit Tagen nichts mehr um uns herum. In dieser Region sind so gut wie keine Schiffe unterwegs, nur vereinzelt besuchen uns Delfine. Sie lieben die Wellen, die sich am Bug bilden und spielen darin. Die Wetterverhältnisse machen es sehr unwahrscheinlich, dass Boote von der libyschen Küste ablegen, aber es gab auch schon Rettungen unter diesen Verhältnissen.

Während ich bei meiner Search-and-Rescue-Watch auf die Wellen blicke, bin ich innerlich hin- und hergerissen. Soll ich hoffen, etwas zu entdecken oder nicht? Was, wenn wir ein Boot übersehen, weil viele von ihnen von dem weißen Schaum der Wellen kaum zu unterscheiden sind? Wie es da draußen in einem kleinen Boot jetzt wäre?

Das sind Gedanken, die ich lieber gleich zur Seite schiebe. Sie rauben mir Kraft, die ich versuche für anderes aufzusparen. Das ist auch etwas, dass ich hier gelernt habe: eine größere emotionale Distanz zu halten, beziehungsweise die Momente emotionaler Nähe bewusster zu wählen oder zuzulassen. Klingt vielleicht komisch, aber ich denke, es ist ein guter und wichtiger Prozess, um diese Arbeit gesund machen zu können.

Unser Einsatzleiter sagt, dass jeder Einsatz für ihn schwerer und schmerzhafter wird. Ich glaube, ich fange an, das ein bisschen zu verstehen. Das Meer hat einen großen Teil seiner Schönheit und Leichtigkeit für mich verloren, es bleibt ein beklemmendes Gefühl, wenn ich da rausschaue. In den letzten Stunden ist das Wetter besser geworden und es soll weiterhin so bleiben. Dann könnten vermehrt Boote ablegen, die in den letzten Tagen nicht starten konnten. Wir werden sehen.