Die Externalisierung der EU-Migrationspolitik

Die Europäische Union verschiebt ihre Außengrenzen. Und entledigt sich ihrer Verantwortung für Menschen auf der Flucht.

von
Nicolas Arp
und

Darum geht es:


Der EU, gemeinsam mit europäischen Nicht-EU Staaten, fehlt es an einer gesamteuropäischen und allgemein gültigen  Asylpolitik. Für die Folgen dieses Scheiterns übernimmt sie keine Verantwortung. Einig ist sie sich aber darin, Europas Außengrenzen mit allen Mitteln zu schließen.


Was ist Externalisierung?


Der Begriff bedeutet so viel wie „nach außen verlagern“. Er wird meist verwendet, um zu beschreiben, wie die EU und einzelne Staaten durch Deals, Abkommen und anderen Maßnahmen mit Staaten außerhalb ihrer Außengrenzen diese de facto dorthin verlagert.

Zentrale Strategien sind dabei Grenzkontrollen in Transit- und Herkunftsländern von Geflüchteten – sowohl in die Türkei als auch weit in west- und ostafrikanische Staaten hinein. Das individuelle Recht auf Asyl für Flüchtende ist in der Genfer Flüchtlingskonvention verankert. Die EU scheint aber bereit, den Schutz dieses Rechts ihrer sogenannten „Versicherheitlichung“ der Migrationspolitik zu opfern.


Das bedeutet Externalisierung in der Praxis:


In Europa gilt das Schengener Abkommen von 1985 oft als Meilenstein in der Geschichte der Externalisierung. Die Liberalisierung der internen EU Grenzen ging einher mit einer weitgehenden Schließung der Außengrenzen. Exemplarisch hierfür sind die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla in Marokko. Mit dem Beitritt Spaniens zum Schengener Abkommen 1991 wurden die beiden Städte zur Außengrenze der EU auf dem afrikanischen Kontinent. Das hatte eine restriktivere Migrationspolitik - etwa die Einführung einer Visumspflicht für marokkanische Staatsbürger*innen - zur Folge. Um dieses Hindernis zu umgehen begannen Migrant*innen mit Booten den Atlantik zu den Kanarischen Inseln zu überqueren, was die von Spanien angeführte EU dazu veranlasste, die Eindämmung der irregulären Migration nach Europa ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen. Die Zusammenarbeit zwischen Spanien und Marokko (sowie Italien und Libyen) hat bereits seit 2003 zu koordinierten Patrouillen in den Gewässern und zur Rückübernahme von Migrant*innen im Austausch gegen Entwicklungshilfe und humanitäre Hilfe geführt. Dies führte zu einer immer wieder auftretenden Konsequenz der Externalisierung. Durch die Abriegelung regulärer und sicherer Migrationsrouten werden Menschen in gefährlichere getrieben.

Heutzutage sind die jeweiligen Programme und Vereinbarungen zwischen nationalen und supranationalen Akteuren so komplex und inkohärent geworden, dass es schwierig sein kann, die zugrunde liegenden Strategien herauszufiltern. Was für den kritischen Blick jedoch offensichtlich bleibt, sind die Ziele der EU. Bei der Kontrolle ihrer Außengrenzen konzentriert sie sich vor allem auf die Eindämmung von Migrationsbewegungen, die aggressive Bekämpfung irregulärer Migration und die Ausweitung der europäischen Migrationspolitik auf Herkunfts- und Transitländer.

Die europäischen Grenzen beginnen weit vor dem Mittelmeer. Sie sollen verhindern dass Menschen auf der Flucht es gar nicht erst erreichen.

Millionen-Investitionen gegen Menschen auf der Flucht

Die Strategie der Externalisierung verfolgt ein Ziel: Migrationsbewegungen in Richtung europäischer Staaten frühestmöglich  einzudämmen, so dass dieser Boden gar nicht erst erreicht wird. Dafür gehen Zahlungen in Millionen- bis Milliardenhöhe durch zahlreiche Abkommen an afrikanische Staaten (darunter Diktaturen wie Eritrea), die Türkei und den Balkan. Geld fließt laut ‘Pro Asyl’ in “Grenzkontroll-Technik, Schulungen der Grenzpolizei, Rückübernahmeabkommen, gemeinsame Grenzpatrouillen – nicht jedoch tatsächliche Schutzkonzepte oder verbesserte Aufnahmebedingungen. Auch bei der Bekämpfung von Schleppern sollen Herkunfts- und Transitländer mitwirken. Diese Maßnahmen werden als Schutzmaßnahmen für Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten deklariert, beseitigen jedoch nicht die Gründe, die Menschen in die Flucht treiben. Statt Flüchtlinge zu schützen, führen sie dazu, dass diese immer gefährlichere Wege auf sich nehmen müssen und dabei auf die Dienste von oft zweifelhaften Fluchthelfern angewiesen sind”

Eingriff in die Souveränität

Die Praxis der Externalisierung der Migrationskontrolle ist daher im Kern problematisch. Neben dem “aus den Augen, aus dem Sinn” - Ansatz basiert sie auf einem Ungleichgewicht in der Machtverteilung zwischen den Verhandlungsparteien. Abmachungen zwischen ungleichen Partnern als Verhandlungen zu bezeichnen, ist irreführend und eine Strategie, die der EU mehr Legitimität vortäuscht. Denn sie ist permanent auf der Suche nach Staaten aus denen vermehrt Menschen migrieren oder die diese oft passieren. Im nächsten Schritt werden Staaten, die bereit sind, für Entwicklungshilfe Eingriffe in ihre staatliche Souveränität zu akzeptieren, besonders stark umworben. Kooperation in der Migrationskontrolle führt oft zur Überweisung größerer Unterstützungsbeiträge. Folgen dieser "Verhandlungen" sind in der Regel die Änderung des Rechtsstatus von Migrant*innen, die Verstärkung der Grenzkontrollen, die Rückübernahme von Migrant*innen und die Verschärfung der Abschiebehaft.

Mehr Kontrolle für mehr Geld

Diese “mehr ist mehr” Strategie (mehr Grenzkontrollen für mehr finanzielle Zuwendungen) bildet mittlerweile einen zentralen Bestandteil der externen Migrationspolitik der EU. Das dadurch entstehende und fortdauernde Abhängigkeitsverhältnis wird durch die historische, koloniale und gegenwärtige Verantwortung der EU gegenüber dem afrikanischen Kontinent nur noch verstärkt. Diese Entwicklungen und der koordinierte Kampf gegen irreguläre Migration haben einige Transitländer (wie Niger) zu Aufnahmeländern gemacht. In der Erwartung, ihre Reise von dort aus fortsetzen zu können, sind höchstwahrscheinlich mehr subsaharische Migrant*innen in Nordafrika als in Europa.

Die bereitwillige Kooperation der Internationalen Organisationen

Internationale Organisationen (IO) sind dabei in die Externalisierung der Migrationssteuerung und -kontrolle eingebunden. IO sind oft "on the ground" tätig und haben sich daher zu wesentlichen Partnern der EU entwickelt. Die Abhängigkeit der IO von finanziellen Beiträgen und ihre Bereitschaft, sich dem europäischen Migrationsregime zu unterwerfen, macht sie allerdings anfällig für externe Einflussnahme. Die EU delegiert zunehmend Macht an Organisationen wie etwa die ‘Internationale Organisation für Migration’ IOM oder das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen’ UNHCR. Viele Lager oder Aufnahmezentren für Migrant*innen werden von der IOM betrieben (z.B. in Niger). Sie haben die Hauptaufgabe, Migrant*innen zu motivieren, in ihr Herkunftsland zurückzukehren und klügere Migrationsentscheidungen zu treffen.

Pläne, Programme, Projekte

Von der Konferenz von Rabat 2006 über den Khartum-Prozess 2014, dem EU-Afrika-Gipfel in Valletta 2015 bis zum EU-Türkei Deal 2016: die EU und ihre Mitgliedsstaaten haben zahlreiche Aktionspläne, Programme und Projekte aufgelegt. Alle verfolgen das Ziel, Migrant*innen und Geflüchtete möglichst vor Erreichen der europäischen Außengrenzen aufzuhalten. Für sie wird es damit immer schwieriger, ihre Herkunftsländer überhaupt zu verlassen oder Transit-Staaten zu passieren. Gleichzeitig steigt die Gefahr, in unsichere Herkunfts- oder Transitländer zurückgeschickt zu werden.

Die Erfahrungen der Schutzsuchenden, Geflüchteten und Migrant*innen lassen vermuten, dass sich die Europäische Union nur so lange um die Einhaltung menschenrechtlicher Standards bemüht und die Institutionen zum Schutz dieser Standards stärkt, so lange ihre eigenen Abschottungs-Interessen davon nicht betroffen sind.


Abschottung durch Abkommen:


2006 - Der Rabat Prozess (für West- und Zentralafrika)

Europäische und vor allem west- und zentralafrikanische Staaten einigen sich auf eine Kooperation in der Bekämpfung von irregulärer Migration nach Europa. Anlass waren hauptsächlich steigende Ankunftszahlen in Spanien über die Straße von Gibraltar und über den Atlantik zu den Kanarischen Inseln. Ziel der Vereinbarungen war - und ist - das Eindämmen von Migrationsbewegungen, so dass Migrant*innen gar nicht erst die jeweilige europäische Küste erreichen.


2014 - Der Khartum-Gipfel (für Ostafrika)

Eine Vereinbarung europäischer Staaten mit Ägypten, Äthiopien, Dschibuti, Eritrea, Kenia, Somalia, Südsudan und Sudan. Der Khartoum Prozess sollte die Kooperation zwischen der EU sowie Herkunfts- und Transitländern intensivieren - der Fokus liegt auf Menschen, die vom Horn von Afrika aus versuchen, Schutz in Europa zu finden. Dabei geht es vor allem um die Bekämpfung der irregulären Migration, um Menschenhandel und die Schleusung von Flüchtlingen und Migrant*innen. Teilnehmer der Konferenz waren die Herkunftsländer Äthiopien, Sudan, Eritrea, Süd-Sudan, Somalia, Djibouti und Kenia, sowie die Transitländer Libyen, Ägypten und Tunesien.

Am Tisch mit Diktatoren

Am Tisch in Rom saßen aber auch Vertreter*nnen der Militärdiktaturen Eritreas und des Sudans (gegen den 2019 abgesetzten Diktator Omar al-Bashir lag ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vor). Das Einbeziehen dieser Diktaturen in die Gespräche zeigt, wie weit die EU zu gehen bereit ist, wenn es der erfolgreichen Externalisierung ihrer Migrationspolitik dient.


2015 - Der Valletta-Gipfel

Die EU, eine Reihe europäischer und 33 afrikanischer Staaten verständigten sich auf Maßnahmen zur Bekämpfung der irregulären Migration. Ein EU Nothilfe-Fond (EU Emergency Trust Fund for Africa) sollte eingerichtet werden, der nationale Behörden bei diesen Bemühungen unterstützt.

Es geht dabei um Rücknahme-Abkommen zwischen europäischen und afrikanischen Staaten, um Abschiebungen dorthin zu erleichtern - zum Beispiel wenn jemand keinen Pass hat und seine Botschaft ihm oder ihr auch keinen ausstellt. Manche afrikanische Staaten empfanden dies jedoch als Verlust ihrer Souveränität, es kam daher nicht mit  allen Teilnehmern zu einem Abschluss.

Europa: kein Eintritt

So funktioniert die Externalisierung:

In Libyen

Die Europäische Union und einzelne ihrer Mitgliedstaaten – insbesondere Italien – kooperierten schon lange mit Libyen. Ziel dieser Zusammenarbeit – in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart - war und ist das Gleiche: die libyschen Behörden sollten Geflüchtete und andere Migrant*innen an der Überquerung des Mittelmeers hindern, oder sie im Fall des Aufgriffs durch europäische Sicherheitskräfte wieder aufnehmen. Im Gegenzug erhielt und erhält Libyen unter anderem finanzielle Unterstützung und militärische Ausrüstung, etwa Patrouillenboote.

Italien als Externalisierungs-Vorreiter

Insbesondere Italien intensivierte diese Art der Zusammenarbeit. Was daran liegt, dass Migrant*innen von der libyschen Küste aus in erster Linie Italien ansteuern. Der damalige libysche Präsident Gaddafi war - aus europäischer Sicht - politisch noch komplett isoliert, da schloss Italien bereits Abkommen mit ihm, um das Mittelmeer als Fluchtroute zu blockieren. Im "Freundschafts-, Partnerschafts- und Kooperationsabkommen" von 2008 (das auch eine offizielle Entschuldigung für begangene Kolonialverbrechen enthielt) kam man überein, dass die italienische Marine Migrant*innen, die sie in internationalen Gewässern im Mittelmeer aufgreifen würde, nach Libyen zurückschicken dürfe - ohne jede Prüfung möglicher Asylgründe.

Ende der Diktatur, aber kein Ende der Kooperation

Verhandelt wurden neben finanzieller Unterstützung Libyens im Kampf gegen Migration auch bilaterale Rücknahmeabkommen. Gegen aufgegriffene Geflüchtete wurde von nun an hart durchgegriffen. Das Ende der Diktatur Gaddafis in 2011 bedeute auch vorerst das Ende dieses Kooperationsvertrages. Das Jahr 2017 brachte allerdings eine Neuauflage in Form einer Absichtserklärung zwischen Italien und Libyen (org.: Memorandum of Understanding). Mit dem gleichen Ziel wurde das Abkommen 2020 nochmalig erneuert.

Gravierende Menschenrechts-Verletzungen

Menschenrechtsorganisationen kritisierten an diesen Unterfangen insbesondere die Umgehung des Non-Refoulement-Prinzips, demzufolge Menschen nicht in ein Land zurückgeführt werden dürfen, in denen ihnen Gefahr für Leib und Leben oder Verfolgung droht. Libyen hatte weder die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 (GFK) noch das New York-Protokoll “über die Rechtsstellung der Flüchtlinge” von 1967 ratifiziert. Dokumentiert sind zahlreiche, gravierende Verletzungen von Menschenrechten, wie etwa Folter, willkürliche Inhaftierung oder Ermordung. Dies betraf und betrifft Migrant*innen bis auf den heutigen Tag.

Schwere Anschuldigungen

Seit 2017 wurden rund 36.000 Personen von der mit europäischen Geldern finanzierten und unterstützten libyschen Küstenwache abgefangen. Sie werden meist in menschenunwürdige Haftanstalten gebracht. Außerdem zeigen Untersuchungen, dass die libysche Küstenwache in eine Reihe von Verbrechen verwickelt war und ist. Dazu gehören laut D’Agostino "das Festhalten und Erpressen von Lösegeld von Migrant*innen, das Auspeitschen Überlebender von Schiffbrüchen, das Erschießen von Migrant*innen, das Versenken ihrer Beiboote und das Ignorieren von Notrufen"

In der Türkei

Kernstück der europäischen Externalisierungs-Politik in der Ägäis ist das EU/Türkei Abkommen, der sogenannte “Deal”zwischen der Europäischen Union und der Türkei vom 18. März 2016. Ziel dieses Abkommens ist die stärkere Kontrolle und Eindämmung der irregulären Migration von der Türkei nach Griechenland. In den Augen vieler Kritiker*innen liegt dem Abkommen die falsche und gefährliche Annahme zugrunde, die Türkei als sicheren Drittstaat für geflüchtete Menschen zu betrachten.

Das ist der Plan: zurückschicken, umsiedeln.

Die Türkei verpflichtete sich im Rahmen des Abkommens (neben der stärkeren Bekämpfung irregulärer Migration) zur Aufnahme aller geflüchteten Menschen, die - über das Mittelmeer kommend - auf den griechischen Inseln kein Asyl beantragen oder deren Asylantrag als unzulässig bzw. unbegründet abgelehnt wird. Die EU wiederum sagte zu, für jede geflüchtete Person, die in die Türkei zurückgeschickt wird, eine aus Syrien stammende Person in einen EU-Staat umzusiedeln. Darüber hinaus versprach sie Visa-Erleichterungen für türkische Staatsangehörige, eine Wiederaufnahme von EU-Beitritts Gesprächen und finanzielle Unterstützung in Milliardenhöhe für Grenzkontrollen und Projekte zugunsten syrischer Geflüchteter.

Aber der Plan funktioniert nicht

Nach Abschluss des Abkommens kam es jedoch schnell zu gegenseitigen Schuldzuschreibungen bestimmte Punkte nicht einzuhalten. Die EU war insbesondere verärgert über die häufigen Warnungen Erdoğans die Tore nach Europa zu öffnen. Die Türkei beschwerte sich über die Nichteinhaltung der Versprechen von Visa-Erleichterungen und Beitrittsgesprächen. Zudem verlief die Umsiedlung syrischer Geflüchtete zu langsam. Aufgrund der extremen Zurückhaltung vieler EU-Mitgliedsstaaten wurden bis 2020 lediglich 25.000 syrische Geflüchtete nach Europa gebracht. Im Februar 2020 wurde Warnung zur Tat als die türkische Regierung, offenbar als Antwort auf den Tod türkischer Soldaten in Nordsyrien, Grenzkontrollen zu Griechenland weitestgehend suspendierte. Mit diesem strategischen Schritt sollte wohl auch die europäische Unterstützung zu dem Plan der Errichtung einer sicheren Zone in Nordsyrien erzielt werden.

Freiwillige Rückkehr?

Dieser Plan ist eng mit dem Willen syrische Geflüchtete wieder nach Syrien zu bringen verbunden. Aktuell ist die Türkei dazu nicht berechtigt, da im Land immer noch Krieg herrscht (Verstoß gegen das Non-Refoulement-Prinzip). Dennoch durchgeführte Rückführungen wurden bis jetzt daher als „freiwillige Rückkehr“ in die Heimat deklariert, was regelmäßig in illegalen Push-backs an der Grenze zu Syrien endet.

Angespannte Beziehungen

Klar ist jedenfalls: die Türkei hat rund 4 Millionen Geflüchtete aufgenommen, davon 3,5 Millionen allein aus Syrien, und ist damit das Land mit den meisten Migrant*innen der Welt (Stand: 2020). Aus europäischer Sicht hat das Abkommen die Ankunftszahlen in Griechenland stark eingedämmt. Die politische Beziehung zwischen der EU und der Türkei hingegen ist angespannter denn je. Ein Ende des Abkommens wurde oft vorausgesagt. Trotzdem lässt Europas Panik vor steigenden Ankunftszahlen und der strategische Vorteil der Türkei diese Panik ausnutzen zu können beide an dem Deal festhalten. Wie auch immer es mit dem Deal weitergeht, die tatsächlichen Auswirkungen und Konsequenzen gehen zu Lasten von Migrant*innen. Sie sind es die wie Spielsteine instrumentalisiert und ausgenutzt werden.


Zusammenfassung


Die Politik der Externalisierung wird von ihren Befürworter*innen mit Blick auf die Bekämpfung von Schleusern und irregulärer Migration verteidigt. Aber legale und sichere Fluchtwege gibt es nicht und es werden auch keine geschaffen. Im Gegenteil: die EU unterstützt diktatorische und menschenverachtende Regimes mit finanzieller Zuwendung. Unter der restriktiven Politik Europas und seinen Flucht hemmenden Abkommen mit Drittstaaten leiden jene Menschen, die am Dringendsten auf humanitäre Unterstützung angewiesen wären.

Südgrenze der Europäischen Union: Eine der tödlichsten der Welt

Die europäische südliche Außengrenze am Mittelmeer gehört zu den gefährlichsten und tödlichsten Grenzen der Welt. Seit 2014 starben hier bis zu 20.000 Menschen (Stand: 2020) - die Dunkelziffer ist vermutlich weitaus höher. Menschen auf der Flucht davon abzuhalten, auch nur in die Nähe dieser Außengrenze zu kommen, rettet keine Leben, sondern verschiebt das Sterben. Mangels legaler Fluchtrouten gilt die Sahara mittlerweile als riesiger Friedhof unter freiem Himmel. Seit Ende der 90iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zeigt sich: die Externalisierung europäischer Außengrenzen ist sinnlos (denn sie hält niemanden von der Flucht ab), sie ist tödlich und oft menschenrechtswidrig. Angesichts dessen erweist sich die Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU im Jahr 2012 als pure Ironie.

Sie machen sich auf den Weg, so oder so

Die Erfahrung zeigt: Menschen, die verfolgt werden, alles verloren haben und nicht länger in ihrer Heimat bleiben können, machen sich immer, trotz aller Repressalien, auf den Weg: in eine ungewisse, aber, wie sie hoffen, für sie bessere Zukunft. Die Zahl der Toten im Mittelmeer, in der Ägäis und in der Sahara zeigen, dass auch die Inkaufnahme des eigenen Todes Menschen nicht davon abbringt, sich auf diese Fluchtrouten zu begeben. Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, darauf angemessen zu reagieren. Nicht mit der Kriminalisierung von Geflüchteten, Migrant*innen und Flüchtlingshelfer*innen. Sondern mit der Schaffung sicherer und legaler Fluchtwege.

Quellen:
Collyer, M., & de Haas, H. (2012). Developing dynamic categorisations of transit migration. Popul. Space Place, 18, ss. 468-481.
D'Agostino, L. (2020, January 29). Italy’s Failed Migration Fix Has Led to Chaos in Libya. Foreign Policy. Abrufbar hier
Jakob, C., & Schlindwein, S. (2017). Diktatoren als Türsteher Europas. Ch. Links Verlag.
Mandıracı, B. (2020, March 13). Sharing the Burden: Revisiting the EU-Turkey Migration Deal. International Crisis Group. Abrufbar hier
Menjívar, C. (2014). Immigration Law Beyond Borders: Externalizing and Internalizing Border Controls in an Era of Securitization. Annual Review of Law and Social Science Vol. 10, ss. 353-369.
Pro Asyl. (2014, Dezember 05.). „Khartoum Erklärung“: Wie Europa Flüchtlinge aus Afrika abwehren möchte. Abrufbar hier
Pro Asyl. (2016, Juni 29.). Aus den Augen, aus dem Sinn – die Externalisierung von Europas Flüchtlingspolitik. Abrufbar hier
Zeit Online. (2020, März 06.). Mehr als 20.000 Tote auf Mittelmeer-Fluchtroute seit 2014. Abrufbar hier