58 Gäste an Bord

Noch ein spontaner Rettungseinsatz, so erfolgreich wie der Erste. Die Sea-Eye 4 hat jetzt 58 Gäste an Bord. Und sucht nach einem sicheren Hafen für sie.

von
Hanna Winter
und

Wir sind nun vor der sizilianischen Küste und warten auf einen sicheren Hafen für die 34 Geflüchteten an Bord.

Wir haben bereits an die achtmal angefragt und es scheint so, als würden wir noch warten müssen.

Da wir nur Männer an Bord haben, keine Minderjährigen, keine Frauen, und niemand wirklich krank oder verletzt ist (bis auf die „normalen“ Sachen wie kleinere Wunden und Infekte, psychische Belastung, Erschöpfungszustände, Schmerzen) könnte das Warten leider, soviel haben wir aus der Vergangenheit gelernt, noch lange dauern. Alle Geretteten sind zum Glück negativ auf Corona getestet.

Den Geretteten und der Crew geht es den Umständen entsprechend gut. Die Männer sind schnell aufgetaut, sie sind wahnsinnig nett, geduldig und umsichtig. Es ist eine echt schöne Stimmung, es wird mal getanzt und Fußball gespielt mit dem Kapitän, der ein großer Fußballfan ist.

Auf der anderen Seite sind da die ruhigen Momente, einige der Männer beten gemeinsam auf dem Deck, in einigen Ecken werden Spiele gespielt. Einzelne stehen in Gedanken versunken an der Reling und schauen aufs Meer, es gibt Tränen, Sorgen, Hoffnungen und den großen Wunsch, endlich die Familien informieren zu können, dass sie sicher sind.

Mein Alltag beginnt mit der morgendlichen Besprechung um 8 Uhr, und der anschließenden Absprache mit meiner Co-Köchin. Oft nutze ich die Zeit bis zum Kochen für meinen Putzdienst, einen gemütlichen Tee, oder zum Wäschewaschen.

Für diese überschaubare Anzahl an Personen ist die Zubereitung der Mahlzeiten nicht zu stressig und wir haben zwischendurch meistens Zeit für kleine Gespräche und ein bisschen Spaß mit den Geretteten, die gerne bei der Küche vorbeischauen.

Nach dem Mittagessen gibt es eine kurze Mittagspause und dann gehts weiter mit den Vorbereitungen fürs Abendessen, dem Plan für den nächsten Tag, dem Frühstück für die Crew und dem Check der frischen Lebensmittel.

Wir haben recherchiert, was man in Bangladesch typischerweise isst und mit welchen Gewürzen und Kräutern. So versuchen wir, mit dem, was wir hier vorrätig haben etwas bengalisch zu kochen. Wir sind glücklich, dass ihnen unser Essen gut schmeckt und alle Appetit haben.

So gehen ein paar Tage vorbei, bis wir am 12.5. über ein Boot in Seenot benachrichtigt werden. Die Menschen hatten bereits 6 Nächte auf dem Wasser verbracht, ab dem 3. Tag hatten sie kein Essen mehr.

Niemand wollte helfen, Frachtschiffe fuhren vorbei, eines konnte dazu bewegt werden, zumindest in der Nähe zu bleiben, damit das Boot nicht in der Dunkelheit verloren geht. Also hieß es für uns, unsere Geretteten an Bord informieren, alles vorbereiten und wieder umdrehen.

Einsätze in der Nacht sind besonders anspruchsvoll ©Joe Rabe

Die Geretteten hatten viel Verständnis und unterstützen die Entscheidung, wieder umzudrehen und den Menschen zu helfen. Wir alle machten uns  Sorgen um sie.

In der Nacht um 3.30 Uhr wurden wir geweckt, kurzes Briefing, umziehen, schnell einen Kaffee trinken, dann ging’s los. Die Crewkolleg*innen auf den Einsatzbooten in die Dunkelheit verschwinden zu sehen, macht mich jedes Mal nervös, und ich bin immer dankbar, wenn alle zurück an Bord sind.

Die Menschen auf dem Boot waren extrem erschöpft, unterkühlt und verwirrt, aber wir konnten sie alle sicher bergen. Ohne das Schiff, das zumindest in der Nähe geblieben ist, wäre es extrem schwierig gewesen, sie in der Dunkelheit zu finden.

Jetzt sind weitere 20 Männer und 4 Frauen aus Syrien, dem Tschad, Libyen, Ägypten, Eritrea und dem Sudan an Bord und können sich von ihrer extrem anstrengenden Reise erholen.

Auch diese Menschen sind jetzt sicher an Bord ©Joe Rabe

Die folgenden zwei Tage sind ruhiger. Es wird viel geschlafen, kein Fußball, keine laute Musik, dafür gibt es eine große Kleider-Wasch-Aktion und einen improvisierten Friseur- und Barber Saloon.

Meine Arme machen mir seit Tagen zu schaffen. Irgendwelche Nerven sind wohl durch Verspannungen im Nacken beeinträchtigt. Nachts werden meine Arme taub und auch tagsüber habe ich immer häufiger Schmerzen. Die Anstrengungen der letzten Wochen machen sich deutlich bemerkbar.

Ich versuche, mit Übungen, Cremes und kleinen Massagen meiner Crewkolleg*innen damit zu leben. Bald werde ich mich darum kümmern können.

Die Rettung bei Nacht und die Tage danach stecken mir in den Knochen.